SOP – Sicherheit und Schutz
Was bedeutet es für die Arbeit mit Familien, wenn in der Arbeit mit SOP die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen eine leitende Orientierung ist? Und wie gelingt es, diese systematisch und dauerhaft herzustellen?
Eine Erfahrung aus der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe ist es, dass diejenigen, um deren Wohl es geht, manchmal aus dem Blick der Professionellen und der Helfersysteme geraten. Oft haben sie keine Stimme in den Hilfeprozessen, so ein Befund von Forschung. Nicht selten sind viele Professionelle an diesen Prozessen beteiligt und sie treffen auf Familien in Not und auf komplexe Beziehungsdynamiken. Diese Situationen erzeugen manchmal Unsicherheit, Angst, Verwirrung. Sie führen bei den beteiligten Professionellen dazu, Dinge nicht konkret zu hinterfragen und die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen und deren Sicherheit nicht systematisch zu bearbeiten.
Praxismodelle eines sicherheitsorientierten Arbeiten, wie sie für SOP grundlegend sind, entstanden vor gut 20 Jahren in Australien.
Die Grundidee ist es, Arbeitsweisen zu entwickeln, die die Sicherheit von Kindern fokussieren und diese für alle Beteiligten nachvollziehbar und transparent machen. Dies gilt gleichermaßen für Familienmitglieder und Fachkräfte, wie für die Gerichte.
In der Arbeit mit den Familien wird nach Anzeichen von existierenden Sicherheiten im alltäglichen Verhalten der Eltern und sorgeberechtigten Erwachsenen gesucht. Diese werden genau beobachtet, beschrieben und untersucht. (Turnell & Edwards 1999)
Die Vorstellung von Sicherheit ist in vielen Sprachen und Kontexten mit durchaus unterschiedlichen Konnotationen verbunden. Im Englischen gibt es z.B. zwei Begriffe, „safety“ und „security“. „Security“ kennen wir eher aus dem Bereich der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit Daten. „Safety“ wird auch mit Schutz und Gefahrenlosigkeit verbunden. Was als Sicherheit gilt, ist von gesellschaftlichen Vereinbarungen abhängig.
In SOP benutzen wir die Idee von „Sicherheit“ wissensbasiert. Grundlage ist z. B. das Wissen über Trauma, Bindung und Resilienz, über Vernachlässigung und sexualisierte Gewalt oder über Beziehungsdynamiken.
Gleichzeitig reflektieren wir:
- Welche Ansprüche werden gesellschaftlich an das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen formuliert?
- Wie sind Rechte und Pflichten von Eltern und Kindern definiert (minimale Anforderungen)?
- Wann und mit welcher Begründung kommt es zu gesellschaftlichen Eingriffen in Familien?
Für SOP sind die Sicherheit und der Schutz von Kindern und Jugendlichen ein zentrales Anliegen, weil dies ein gelingendes Aufwachsen erleichtert und befördert.
Es geht um sichere Orte und Beziehungen, die vor Verletzungen schützen. Denn Kinder und Jugendliche sind verletzlich, wenn sie von den Erwachsenen, die ihnen Schaden zufügen, existentiell abhängig sind.
SOP unterscheidet sich von anderen Arbeitsweisen durch eine radikale Transparenz in der Arbeit mit den Kindern, Jugendlichen und Eltern. Eine Grundüberzeugung ist es, dass der beste Schutz dann entsteht, wenn alle Beteiligten wissen, was los ist, was passiert ist, wer, was tut und was dies für die Kinder und Jugendlichen bedeutet. Ebenso wird geklärt, was notwendig ist, um schädigende Situationen zu verändern.
Diese Kernfragen werden zur Beschreibung der Situation gemeinsam mit den Eltern und deren sozialen Netzwerken und mit allen beteiligten Professionellen bearbeitet. Auf diese Weise und in diesem Prozess entsteht ein geteiltes Wissen über Gefährdungen, Ressourcen und Schritte zur Veränderung besorgniserregender Situationen.
Dieses Wissen wird systematisch und in einer verständlichen Sprache festgehalten und es ist leitend für die Gestaltung des Hilfeprozesses. Roose spricht von einem „participatory reporting“ (Roose & Bie 2008), also von partizipatorischen Berichten, die die verschiedenen Perspektiven und die Vereinbarungen wie die Formen von deren Nachverfolgung enthalten und von allen verstanden werden.
All dies ist nicht leicht, wenn auch die Methoden, die wir in SOP verwenden, auf den ersten Blick einfach erscheinen („It is simple but not easy!“). SOP bedarf eines kontinuierlichen Trainings und der kollegialen Reflexion, weil nur sichere und gut versorgte Professionelle in der Lage sind, mit anderen an sicheren Orten und Bindungen für Kinder und Jugendliche zu arbeiten.